Feature: Ungemach

Ungemach im Interview & Feature

Ungemach im Interview über seine EP; Fotocredit: Denis Wilhelm

Ungemach schlägt schon durchaus bewusst sehr harsche Töne in seinen Songs an. Am 15. April erschien mit „Träume von Entfremdung“ die neue EP des Künstlers und darauf präsentiert er uns seinen Sound, der in den letzten zwei Jahren der eigentlich völligen Isolation entstanden ist. Da verwundert es kaum, dass seine Songs so brachial klingen. Und so unverfroren mit einer rohen Gewalt spielen. Was erwartet dich? So genau lässt sich das in den Tracks nicht umschreiben. Es folgt ein Sirenengewitter zwischen Grime und Industrial, wirklich kühl, laut und dornig wie eine rostige Kette oder ein eben ein Stacheldraht. Ungemach zeichnet eine leidgeprägte Welt. Eine Welt voller Gewalt, Leid und Zerstörung. Das könnte in der aktuellen Situation nicht passender sein.

„Ich komme mir selbst doch eher gewöhnlich vor. Ich bin mir nicht sicher, ob es in unseren Zeiten überhaupt noch das Potential auf einen Status als Bürgerschreck geben kann.“

Natürlich wirkt das alles verstörend. Und man könnte meinen Ungemach ist ein unaustehlicher Mensch. Ein Enfant Terrible, wie man so sagt. Aber das täuscht, denn der Musiker empfindet sich selbst als eher normal und nimmt die Musik zum Anlass, um aus seiner sonst so isolierten Welt mit brachial musikalischer Gewalt auszubrechen. „Träume von Entfremdung“ ist ein besonderes Werk geworden. Für mich, weil ich so in diesem Bereich der Musik noch nie wirklich aktiv durchgehört habe, wie ich es hier getan habe. Und Ungemach bietet so viel Interpretationsfläche mit seiner Persönlichkeit und dem Sound, den er kreiert. Wir mussten ihm also einige Fragen zu seiner Person, den neuen Songs und seiner Thematik der EP stellen.

Am 15. April erscheint mit “Träume von Entfremdung” deine neue EP. Die sieben Tracks haben es ganz schön in sich. Gibt es deiner Meinung nach ein bestimmtes Gefühl, mit dem du uns als Zuhörer*innen nach Hören der EP zurücklassen möchtest?

Ungemach: „Die EP ist ein Resultat der von Isolation geprägten letzten zwei Jahre, die, obgleich ich ohnehin nie eine ausgemachte Frohnatur gewesen bin, mich an einen Punkt von Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht gebracht haben, den ich in der Intensität nicht kommen gesehen habe. Sowohl musikalisch als auch textlich war der angeschlagene Ton für mich eine unabdingbare Notwendigkeit bei der ich den Rezipienten nicht primär vor Augen hatte. Ich müsste diese Frage also wohl verneinen. Wenn sich irgendjemand in dem geistigen Zustand, der dieses Werk geformt hat, verstanden fühlt, freut mich das aber natürlich. Um Bettina Wegner in Mundart zu zitieren: „Ick globe och, dass Trauer oder Traurigkeit unter bestimmten Situationen und Umständen ’n janz produktivet Jefühl sein kann. Weil wenn ’ne Menge Leute über die gleichen Sachen traurich sind, dann könn‘ se vielleicht irgendwann zusammen wütend werden und dann kann sich auch wat ändern.“ Ich glaube zwar nicht an dieses revolutionäre Potential, aber ich schätze ihren Optimismus. Es ist jedenfalls nicht mein Bestreben, Menschen noch tiefer in die Trauer zu ziehen. Aber ich komme nicht umhin, die Umstände wie sie mir erscheinen, als solche darzustellen. Ich sehe zudem derlei Musik entgegen der Meinung des gesellschaftlichen Gros auch nicht als Negativität oder ungenießbar an. Irgendwie muss dem Chaos und der Absurdität ja Genüge getan werden. Wir leben immerhin darin. Da muss man an dem Schrecken gefallen finden und genießen, was man vor sich wiederfindet, um nicht vollkommen zu verzweifeln. Ein Bestreben von mir ist es dennoch, in den kommenden Projekten einen sensibleren Umgang damit zu finden und wieder etwas andere Klänge anstimmen zu können, die dem Status Quo eine ‚positive‘ Vision entgegensetzen. Ich möchte die Romantik noch nicht als tot erklären. Meine derzeitig neuen Ansätze stimmen mich da zuversichtlich.“

Die Welt, die du uns in deinen Songs zeichnest, also die der Gewalt, des Leids und der Zerstörung, in der befinden wir uns gerade nicht unmittelbar, aber wir haben sie jeden Tag vor Augen. Entweder im TV oder sind doch in direktem Kontakt mit Menschen in der Not. Würdest du deine EP in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen unmittelbar in Europa jetzt nochmal neu betrachten und einordnen? Ist die Musik noch brachial genug?

Ungemach: „Der eingehenden Beschreibung gebe ich zu Teilen recht. Auch wenn ich die fehlende Unmittelbarkeit von Leid in Zweifel ziehen würde. Zur Frage selbst: Letztlich halte ich die aktuellen Entwicklungen auch bloß für permanente Wiederholungen der selben Spielart. Wir leben doch in einer permanenten Krise. Ob diese durch die scheinbar unumstößliche Schlechtigkeit des Menschen, die Unumgänglichkeit der Krise im Kapitalismus selbst, oder irgendeine andere Fehlstellung hervorgebracht wird, ist wahrscheinlich eher eine ideologische Frage. Unter den Umständen ist alles gleichsam Wahrheit und Lüge. Insofern würde ich behaupten, dass ich die EP rein unter dem Gesichtspunkt der Aktualität nicht nochmal neu beleuchten müsste. Wenn es wiederum nach der Frage des Brachialen geht und ob die Musik nicht noch verstörender und schrecklicher sein müsste, als sie es auf der EP ist, stellt sich das nochmal anders dar. Ein sinnvoller Einwand jedenfalls. Eigentlich dürfte es ohnehin bloß noch ohrenbetäubenden Industrial-Harshnoise geben, um den Umständen gerecht zu werden. Doch die Krux liegt eben an anderer Stelle. Auch wenn die Außenwelt, wie sie mir erscheint, nach einem musikalischen Äquivalent bar jeder Schönheit und Freude verlangt, schiene es mir auch als die gleichzeitige Besiegelung der Hoffnungslosigkeit. Ich möchte mir das bisschen Spaß, welches ich in der Musik finde, nicht zwingend auch noch einebnen. Daher suche ich nach einem Weg, der ein affirmatives Moment und Gewalt vereint. Es ist mir ein zwiespältiges Unterfangen, nach der tief eingesickerten Prägung durch eine Unterhaltungskultur, die einem in jeglicher Sparte das ignorante Recht auf Hedonismus verspricht und ohnehin so gut wie alles zum entleerten meme verkommen lässt, wieder auf einen vollkommen gegenteiligen Weg zu kommen. Wenn alles brennt, wird es sterilisiert auf den Bildschirm gebannt, bis auf dem Aschehaufen eine weitere Tanzfläche entsteht. Wenn nicht bereits im laufenden Stadtbrand selbst das Tanzbein geschwungen wird. Da reiht sich meine EP in ihrer Zerrissenheit wohl in die Perfidität des 21. Jahrhunderts ein.“

Du gilst als enfant terrible. Verbindest du mit dieser Wahrnehmung anderer auf dich eher etwas Negatives oder siehst du es eher als Bestätigung, dass du deine kreativen Grenzen immer wieder neu setzt?

Ungemach: „Möglicherweise habe ich da eine etwas verschobene Selbstwahrnehmung, aber ich komme mir selbst doch eher gewöhnlich vor. Ich bin mir nicht sicher, ob es in unseren Zeiten überhaupt noch das Potential auf einen Status als Bürgerschreck geben kann. Gewöhnungseffekte werden immer wieder mit der Zeit einsetzen und wer sich grade noch an meiner EP stößt, hat vielleicht den Schuss einfach nicht gehört. Und im Lichte anderer wesentlich radikalerer Musiker, die ich und viele meiner Generationsgenossen hören, scheine ich mir selbst doch als recht handzahm. Was die kreativen Grenzen anbelangt, bin ich definitiv bestrebt, fortwährend weiter zu gehen, als ich es zuvor getan habe. Welche Formen das annimmt wird sich noch zeigen. Das Feld der Musik ist sicherlich wesentlich zu reichhaltig und das Spektrum der menschlichen Imagination zu weitreichend, um sich so frühzeitig zu versteifen. In unseren Zeiten ist der nächste grandios gelandete Coup ja auch potenziell am selben Tag bereits gestrig. Ich freu mich drauf.“

In deinen Songs schlägst du einen recht harschen Ton an. Empfindest du es auch als Gratwanderung, dass es immer eine Gefahr gibt, deine Zuhörer*innen auch ziemlich zu erschrecken und zu überanstrengen?

Ungemach: “ Darauf ließen sich meine vorangegangenen Ausführungen wohl bereits recht treffend beziehen. Die Gratwanderung sehe ich dann vielleicht am ehesten darin, dass die neue EP für eine uneingeschränkte Zugänglichkeit wohl zu verschroben, verkopft und hart, jedoch auf der anderen Seite dann auch wieder zu gezähmt, geformt und inhaltlich-programmatisch wirkt, als dass es als wirklich gebührender Ausdruck des Chaos gelten könnte. Möglicherweise bediene ich da zwei Sparten, die sich widersprechen. Aber ich bin gewillt zu wagen. In Deutschland sehe ich den Versuch, diese Welten zu vereinen, derzeit jedenfalls kaum.“

Wenn du einen entscheidenden Makel des modernen Menschen ausmachen müsstest, der dich am meisten stört und der zum Untergang führen könnte, welcher wäre das?

Ungemach: „Ich habe lange über diese Frage nachgedacht und einiges geschrieben. Jedoch werde ich es wohl bei Folgendem bewenden lassen: Für eine wirklich gebührende Antwort auf diese Frage bin ich nicht gebildet genug und in der denkbar falschen Rolle. Mit der EP habe ich in der persönlichen Position des Künstlers zum Ausdruck gebracht, wozu ich mich gezwungen gesehen habe. Da dürfen die Texte für sich stehen. Eine tatsächlich inhaltlich sinnvolle Behandlung obliegt Leuten außerhalb der Kunst. Dazu taugt sie meiner Meinung nach einfach nicht. Beziehungsweise korrumpiert sich die der Kunst innewohnende Schönheit schnell durch die Programmatik. Da habe ich mich mit ‚Träume von Entfremdung‘ an sich bereits auf äußerst dünnes Eis begeben. Ich sehe ein nicht allzu fernes Ende als gesetzt. Das ist alles was ich weiß.“

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