Feature: Michael Moravek „Dream“

Michael Moravek Interview & Feature Album „Dream“

Michael Moravek im Interview über sein neues Album „Dream“; Fotocredit: Hans Bürkle

Der Singer-Songwriter Michael Moravek veröffentlichte im Mai 2022 mit „Lost“ ein Album, das nicht nur Mike Scott von den Waterboys schlicht als ‚beautiful‘ bezeichnet, sondern das in der Fachpresse als eines der besten Americana-Alben des Jahres gehandelt wird. Nun erscheint, kein Jahr später am 26. Mai, als Ergänzung das Album „Dream“. Und genau darüber müssen wir sprechen. Denn der Songwriter bringt 10 neue Tracks raus. Er ist der wohl poetischste Americana Songwriter, den wir hier in Deutschland haben.

„Dream“ ist das Gegenstück zu „Lost“, also literarisch bzw. poetisch betrachtet. Generell spielt die Weltliteratur in seinen neuen Songs eine gewichtige Rolle. Er stellt in seinen Songs mehrere große Werke in- und aufeinander. Hiob, Bernard Malamud John Connolly oder auch Danilo Kiš und Fernando Pessoa. Das sind ganz schön schwerwiegende Werke und mit historischer Gewichtung. Umso geheimnisvoller wandelt er durch die Tracks und schafft ein überaus persönliches Werk. Eines bei dem er schon durchaus schön darstellt, wie er die eigenen Pfade der Erinnerung beschritt. Der Wald ist dabei der Ort, an dem sich alles verliert und vereint zugleich. Wir sprechen mit Michael Moravek über den Kontrast zu „Lost“, die endlosen Träume, die wir haben und darüber wieso wir leider die Zeit nicht anhalten können.

Not even 1 year after the release of your first album „Lost“ your second album „Dream“ will be released. Was the debut so complete for you that you are ready for the second album?

Michael Moravek: „Ich hatte im Februar 2020 gerade das Album November veröffentlicht als bekanntermaßen die Pandemie begann und alles zum Erliegen brachte. Es hatte so gut gestartet mit Radio-Features zum Album. Ich hatte mit meiner Band Songs aufgenommen, die ich zu einem Bühnenstück zu Melvilles Moby Dick geschrieben hatte. Plötzlich ging es nicht mehr weiter. Viele Musiker*innen hatten dieselbe Erfahrung gemacht: Verzweiflung und Perspektivlosigkeit wandelten sich in neue Kreativität. Ich begann mit der Arbeit an neuen Songs, nahm Demos auf und tauschte sie mit William Widmann, dem Schlagzeuger meiner Band. Der Direktor des Theaters in Ravensburg, dessen Spielbetrieb brachlag, stellte mir den Theatersaal zur Verfügung. Mit dem Tondirektor Thomas Fuchs wandelten wir die Bühne um zu einem Tonstudio und nahmen live auf. Der jeweils beste Take bildete die Grundlage für die weiteren Aufnahmen. Es wurden viele Songs und ich stellte fest, dass es zu viele für ein einziges Album waren. Ein Doppelalbum wäre den Songs nicht gerecht geworden. Also gruppierte ich das Material anhand der Texte unter zwei Überschriften und stellte zunächst Lost fertig. Nun erscheint der zweite Teil dieser Erzählung: Dream. Ich war schon bei Lost erstaunt, wie gut die Songs auch musikalisch zusammenpassten. Während die Songs auf Lost eher Verlust, Sehnsucht und Zweifel reflektieren, schien es mir, dass die Songs auf Dream nach vorne gerichtet und hoffnungsvoll sind und sich das Thema ‚Träume‘ wie ein roter Faden durchzieht. Kürzlich sagte mir der britische Radiomoderator Jim Guynan, der mich in einem Feature zu Dream interviewt hat, dass wir aus seiner Sicht auf die Pandemiejahre als die goldenen Jahre zurückblicken werden, die für eine besonders produktive Phase in der Geschichte der Popkultur stehen werden. Ich denke, er hat Recht.“

In your „Liner Notes“ you say that life consists of an endless chain of dreams and that they simply pass you by incredibly quickly. Do you sometimes feel a certain fear that the moments are racing past you too quickly?

Michael Moravek: “ Manchmal kommt es mir so vor. Wie eine endlose Kette aneinander gereihter Träume. Sie rauschen bereits an mir vorbei. Ich denke, je älter ich werde, umso traumhafter erscheint mir, was ich erlebt habe. Es ist die Vergangenheit, die ich immer wieder in Flashs, in Tagträumen erlebe und die mir bewusst macht, dass sie mir als Mensch eine Geschichte gibt und mir aufzeigt, was für einen reichen Erfahrungsschatz ich habe. In diesem Mix definieren wir uns als Persönlichkeiten. Dabei spielen Fakten aus meiner Sicht gegenüber dem Fühlen, den Farben und Geräuschen eine eher untergeordnete Rolle. Ob ich mich fürchte? Das ist eine gute Frage. Furcht ist vielleicht ein zu großes Wort, aber ja, ich möchte Zeit nicht verschwenden.“

Do you have an idea how to master this speed? Unfortunately, you can’t stop the time…

Michael Moravek: „Zeit beschreibt eine Abfolge von Momenten, die wir erleben oder die uns passieren. Sie alle prägen uns, kommen aus der Vergangenheit, durchqueren die Gegenwart und verschwinden in der Zukunft. Wie wir Zeit erleben, ob sie schnell vergeht oder langsam, das hängt aus meiner Sicht von der Intensität der Gegenwart ab. Die äußere Zeitschiene lässt sich leider nicht anhalten. Aber innerlich ist das möglich. Ich finde, Songs können das. Wenigstens für die Dauer von drei bis vier Minuten sind sie imstande, diesen Trick zu vollführen. Sie sind in der Lage Gedanken, Gefühle, Bilder, Erlebtes, Atmosphären festzuhalten und zu jedem gewünschten Zeitpunkt wiederzugeben. In gewissem Maße sind sie kleine Zeitmaschinen. Meiner Erfahrung nach steht Zeit nur dann in einem großen Maß zur Verfügung, wenn man sich auf dem Zeitstrahl vor allem in der Gegenwart befindet. Wir alle kennen diesen einen Tag, der uns so intensiv und lange erscheint, weil wir in der Lage waren, alles aufzunehmen, was gerade geschah. Übrigens habe ich in einem Beitrag über Dylans Gesamtwerk einmal gelesen, dass time das am häufigsten vorkommende Wort in seinen Texten sein soll. Das finde ich interessant. Ich habe mich zuletzt mit kontemplativem Denken beschäftigt, einem Thema, das sich durch Philosophie und Religion zieht. Die alten Mystiker wussten von den Chancen, die sich bieten, wenn sie Zeit und Ruhe miteinander verknüpfen und dadurch neue gedankliche Räume entstehen.“

„On „Dream“ you process books that you have read and stories that you have „experienced“. If you consume some of it that doesn’t add any value to you and your life, does that also seem worthless and a waste of time?

Michael Moravek: „Ich lese oft mehrere Bücher parallel, manche von ihnen lege ich nach einer Weile weg. Sie erreichen mich nicht oder ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Jedes Buch hat seine Zeit und ich lese es im Kontext mit dem, was um mich herum geschieht. Ich finde tatsächlich auch Freude in der Zerstreuung. Aber ich kann kein Buch lesen, dass mich nicht anspricht, das nicht zu mir spricht. Ich erwarte von einem Buch, dass es in der Lage ist, mir etwas über mich selbst zu sagen oder mich zu Gedanken zu führen, die ich noch nicht gedacht hatte. Da ist es völlig gleich, ob es sich um einen Roman, eine Biografie oder um ein wissenschaftliches Werk handelt. Gerade lese ich unter anderem ein Buch über Nikola Tesla und einen Roman von Reinhard Kaiser-Mühlecker. Die Zeit für Belangloses ist mir zu wertvoll, weil ich die Inspiration, den Anstoß, suche. Jemand sagte einmal, Inspiration sei die vordergründige Aufgabe von Kunst. Das empfinde ich auch so. Wenn mich Kunst, in diesem Fall Bücher, nicht inspirieren kann, dann erkenne ich in ihr keinen Wert für mich. So höre ich auch Musik. Und ich schreibe Songs aus genau diesem Grund. Sie helfen mir, nicht irre zu werden in dieser Welt und meine Rolle darin besser zu verstehen. Die Literatur hat einen großen Einfluss auf mein Songwriting. Ich bin nicht daran interessiert das, was ich lese, zu reproduzieren. Es ist vielmehr wie eine Tür, die sich öffnet. Man betritt einen Raum, der einem bekannt vorkommt. Man erkennt, dass man diese Gedanken auch hat. Und dann geht man dem nach. Und dann wieder haben diese Gedanken nichts mit dem Buch zu tun, das man gerade gelesen hat. Sie führen dich in den nächsten Raum. Meine eigenen Geschichten fallen wie lose Seiten aus den Büchern, die ich lese.“

But isn’t it sometimes a much easier life when, for example, reading books that you don’t deal with that much and just reading them dull?

Michael Moravek: „Möglicherweise ja, aber es macht mich nicht satt.“

The unpredictable and unexpected brings you the most joy in songwriting. Don’t you have an immense advantage over many other people? Many are afraid of the unexpected.

Michael Moravek: „Ist es nicht eine grundlegend menschliche Eigenschaft, dass wir die Dinge unter Kontrolle halten möchten. Uns ängstigt, was wir nicht kennen. Wenn ich mich als Songwriter, als Musiker, einlassen kann auf das Unerwartete, dann profitiere ich davon. Kunst ist immer in Bewegung. Ich weiß ganz genau, was mein Song können soll, aber das bedeutet nicht, dass ich innerhalb bestimmter Grenzen bleiben muss. Trends, Genres und von außen vorgegebene Erwartungen interessieren mich nicht. Das haben sie nie. Mag sein, dass mir diese Haltung oft im Weg stand, als Künstler den nächsten Karrieresprung zu schaffen. Mich hat es aber immer eher interessiert, als Songwriter und Interpret weiterzukommen. Ein guter Song: das ist meine absolute Priorität. Alles weitere kommt danach. Ich schreibe Songs nicht am Reißbrett. Sie kommen zu mir. Die Impulse, auf die ich reagiere, eröffnen mir Räume. Als weiteren wichtigen Faktor für mein Songwriting habe ich entdeckt, dass ich mit Impulsen und Ideen diszipliniert umgehen muss, sie verschwinden schnell ins Nirgendwo. Diese Haltung beschert mir in den letzten Jahren eine andauernde Kreativität, wie ich sie davor nicht hatte. Aus dem Unerwarteten sind schließlich Lost und Dream entstanden.“

In welcher Erinnerung würdest du in ein paar Jahren gerne auf dein zweites Album „Dream“ zurückblicken?

Michael Moravek: „Ich kann mir vorstellen, dass ich eines Tages auf Dream zurückblicke und dabei denken werde, wow, das hast du geschrieben. Kaum dass Dream veröffentlicht war, bekam ich viele Rückmeldungen Hörer*innen, die mir von den ein, zwei Lieblingssongs vorschwärmten. Und alle zehn Songs kamen vor. Ist das nicht großartig? Ich betrachte Lost und Dream als ein für mich dichtes, intensives und in sich geschlossenes Werk und schaue mit Dankbarkeit auf die Momente, die es mir ermöglicht haben, diese Songs in die Welt zu bringen, wie auch auf die Musiker*innen, die sich von der Intensität des Materials haben anstecken lassen und ihr Können und ihre Begeisterung in die Aufnahmen eingebracht haben. Im zukünftigen Rückblick würde ich es gern als etwas betrachten, das die Musikwelt trotz des riesigen Angebots an Neuveröffentlichungen als ein Album zur Kenntnis nimmt, das seinen eigenen zeitlosen Platz hat.“

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