Feature: Quicche „Frisia“
Quicche im Interview zum Album „Frisia“
Wir stellen dir heute das Album „Frisia“ des Musikers Quicche aus Ostfriesland vor. Quicche ist nun endlich mit seinem ersten Album raus und dafür hat er sich in ein abgelegenes Haus zurückgezogen. Das Studio, in dem er die Songs aufgenommen hat, wurde eher provisorisch implementiert und dabei hat er sich ganz bewusst selbst limitiert. Er reduziert hier ganz bewusst alles auf ein gewisses Minimum und es stellen sich in den folgenden 10 Songs zwei Ebenen heraus: Die der Produktion und sein Songwriting. „Mid 30s HB“ ist ein Paradebeispiel für die Arrangements, die der Songwriter uns hier darbietet. Einerseits flackern hier zahlreiche elektronische Elemente über die Lautsprecher und dann haben wir dort noch sein Klavier und seine so zerbrechlich klingenden Vocals. Dabei dürfen die Synths auch gerne mal als Störgeräusch wahrgenommen werden. Erst dadurch entstehen bei ihm diese sagenhaften Klangwelten. Und genau damit beschäftigt sich der Ostfriesländer in seinen Songs. Von verzerrten Vocals, über balladenhaften Synth-Pop Songs, ist hier wirklich eine Bandbreite abgebildet, in die man am liebsten versinken möchte.
In „Cyan II“ spürt mna regelrecht diese tiefersitzende Nostalgie, die sich dort breit macht. Und man merkt einfach durch und durch, dass Quicche eine besondere Einsamkeit in sich gespürt haben muss, als diese Songs entstanden sind. Er bietet viel Raum für Assoziationen und Gedankenspiele. Man möchte am liebsten direkt mit abtauchen in diese Welt. Über den Entstehungsprozess, wie er seine Gefühlswelt beim Schreiben betrachtet und er spricht im Interview auch über sein Stilmittel der Brüche in seinen Songs.
Marc, du hast dein Debütalbum „Frisia“ in einem abgelegenen Haus in Ostfriesland aufgenommen – ganz bewusst in Isolation. Was hat dich zu dieser Entscheidung bewogen und
wie hat diese Umgebung deinen kreativen Prozess beeinflusst?
Quicche: „Genau, ich habe das Album in einem kleinen Fischerdorf in Ostfriesland aufgenommen. Das Haus, in dem ich für einen Monat lebte, lag am Rand des Dorfes. Obwohl sich in der Umgebung noch weitere Häuser befanden, standen zur Zeit der Aufnahmen alle leer – was eine ganz eigene Atmosphäre mit sich brachte. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, weil ich mich in eine neue Situation begeben wollte – oder besser gesagt: Ich verspürte den Drang, mit meinen bisherigen Routinen zu brechen. Tatsächlich hatten der Ort und die Isolation einen großen Einfluss auf das Album. Wenn man so viel Zeit alleine verbringt und es nur wenig gibt, womit man sich ablenken kann, bleibt einem viel Raum
zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit Themen, die man vorher vielleicht bei Seite geschoben hat. Ich denke, diese intensive Beschäftigung mit mir selbst ist der inhaltliche Kern des Albums.“
In deiner Musik treffen organische Field Recordings, verfremdete Vocal-Samples und elektronische Klangflächen aufeinander. Wie gehst du beim Produzieren vor – beginnt alles
mit einem Gefühl, einem Klang oder einer bestimmten Idee?
Quicche: „Das mit dem Gefühl trifft es eigentlich ziemlich gut. Im Produktionsprozess habe ich fast immer mit einer Ambient-Fläche begonnen – meist bestehend aus Synthesizern, Field Recordings und sehr viel Hall. Sobald die Fläche stand, habe ich mich ans Klavier gesetzt und improvisiert, bis sich ein Thema oder eine Akkordfolge abgezeichnet hat, die in mir etwas ausgelöst hat. Ab diesem Punkt ging es nur noch darum, dieses Gefühl zu übersetzen.“
Der Song „Mid 30s HB“ wirkt wie ein musikalisches Wechselbad aus Intimität und plötzlicher Wucht. Was steckt hinter dem Titel – und was war dir bei der Komposition dieses Stücks besonders wichtig?
Quicche: „Das trifft es tatsächlich gut! Während ich den Song geschrieben habe, musste ich viel darüber nachdenken, inwiefern soziale Medien unser Leben verändern – insbesondere in Bezug auf den Abschluss mit der Vergangenheit. Vor Instagram, Facebook & Co. hat man manche Menschen, denen man einst nahestand, irgendwann aus den Augen verloren, und die Leben haben sich unabhängig voneinander weiterentwickelt. Heute kann man das Leben vieler Menschen online mitverfolgen, selbst wenn man längst kein Teil mehr davon ist. Der Song hinterfragt, welche Auswirkungen das auf uns haben kann. Da sich die Auseinandersetzung für mich sehr ambivalent angefühlt hat, wollte ich genau diese verschiedenen Emotionen auch in der Musik abbilden.“
Du arbeitest stark mit Brüchen, scheinbar „kaputten“ Sounds und nicht ganz perfekten Momenten. Welche Rolle spielt für dich das Unperfekte in der Musik – auch im Hinblick auf dein eigenes Selbstverständnis als Künstler?
Quicche: „Das ist mir tatsächlich sehr wichtig, und ich versuche immer wieder, mich in Situationen zu begeben, die Fehler oder das vermeintlich Unperfekte provozieren. Ich mag Kontraste einfach sehr gerne: Ein harmonischer Teil wirkt umso harmonischer, wenn der Abschnitt davor aufwühlend war. Leise Stellen fühlen sich noch leiser an, wenn sie aus einem Klanggewitter hervorgehen. Außerdem fühlt sich das für mich authentischer an – auch mein Innenleben besteht nicht nur aus einer einzigen Emotion oder Stimmung, sondern aus einer Kombination vieler, teils gegensätzlicher Gefühle.“
Du bist mit deinem ersten Release direkt bei einem so renommierten Label wie R&S Records gelandet. Wie kam der Kontakt zustande – und wie fühlt es sich an, mit einem Label in einem Atemzug mit Aphex Twin oder James Blake genannt zu werden? Spürt man da auch einen gewissen Druck?
Quicche: „Der Kontakt kam zustande, weil Hannah (Teil meines Managements) dem Gründer und Chef von R&S Records, Renaat, eine Nachricht auf Instagram geschrieben hat – danach ging alles sehr schnell. Ich bin natürlich sehr glücklich darüber, Teil eines Labels zu sein, das die Musikgeschichte so bedeutend geprägt hat wie R&S Records. Gleichzeitig versuche ich, mir nicht zu viele Gedanken darüber zu machen oder irgendwelche Vergleiche anzustellen. Letztlich kann ich nur versuchen, Musik zu machen, die mir etwas bedeutet – alles andere liegt nicht in meiner Hand.“
Der Albumtitel „Frisia“ verweist auf einen ganz bestimmten Ort. Würdest du sagen, dass dieser Ort für dich eher real oder symbolisch ist – vielleicht sogar beides? Was bedeutet dir „Frisia“ persönlich?