Feature: Karl die Große
Karl die Große „Aufgehoben“ Interview & Feature
Am 29. August erscheint das neue Album Aufgehoben von Karl die Große – und schon jetzt lässt sich sagen: es ist das bisher radikalste, mutigste und zugleich verletzlichste Werk der Band um Wencke Wollny. Nach dem gefeierten Vorgänger Was wenn keiner lacht (2021) wagt die Leipziger Songwriterin mit ihrem Trio eine musikalische und inhaltliche Neuausrichtung: mehr Beats, mehr Elektronik, weniger große Bandmomente, dafür ein schärferer Fokus auf Stimme, Chöre und textliche Klarheit.
Im Zentrum steht die Angst – aber nicht als lähmendes Tabu, sondern als Antrieb und Quelle von Verbindung. „Das Gegenteil von Angst verdrängen ist für mich: sie wahrnehmen, sie erlauben und sich ihr stellen“, erklärt Wollny im Gespräch. Dieses Credo zieht sich durch die 14 Tracks, die zwischen Pop, Liedermacher-Tradition, zerbrechlicher Intimität und drängenden Beats changieren.
Songs wie „Ein Blick“ oder „Bau nicht auf mich“ geben der Angst eine Stimme, statt sie zu verleugnen. Es sind Stücke, die ermutigen, Schwäche nicht als Defizit, sondern als Stärke zu begreifen. „Genau diese Mischung aus Ehrlichkeit und Zuspruch wollen die neuen Songs transportieren – sie sollen Mut machen, die eigenen Gefühle nicht als Schwäche zu sehen, sondern als Teil von Stärke“, so Wollny.
Musikalisch wagt Karl die Große dabei viel Neues: Treibende, fast clubartige Beats wie in „In Raketen durch die Nacht“ treffen auf fragile Instrumentierungen, Spoken-Word-Passagen und orchestrale Chöre. Das Spiel mit Kontrasten wird zum Markenzeichen – zwischen Leichtigkeit und Schwere, zwischen Tanzbarkeit und Zerbrechlichkeit. „Die Gegensätze sind größer geworden“, beschreibt Wollny, „und ich habe sehr viele Instrumente selbst eingespielt – von Klarinetten über Flöten bis zu Saxophonen.“
Thematisch ist Aufgehoben eine Absage an die Selbstoptimierungsmaschine und den narzisstischen Kapitalismus, die uns permanent am Rand des Abgrunds balancieren lassen. Doch die zweite Hälfte des Albums trägt Hoffnung in sich. „Die erste Hälfte geht den Weg der Machtmenschen mit – um ihn scheitern zu lassen. Die zweite Hälfte trägt mehr Verbindendes in sich: dass wir nicht alleine kämpfen müssen“, sagt Wollny.
Das Ergebnis ist ein Konzeptalbum, das persönliches Scheitern und gesellschaftliche Krisen verknüpft, ohne in Selbstmitleid oder Pathos zu verfallen. Stattdessen findet Aufgehoben eine klare, poetische Sprache für das, was viele fühlen – und gleichzeitig neue Wege suchen.
Ein Album für alle, die zwischen Überforderung und Sehnsucht nach Verbindung pendeln. Für alle, die Angst nicht mehr wegschieben wollen. Für alle, die Musik als Haltung begreifen.
Auf eurem neuen Album “Aufgehoben”, welches am 29. August erscheinen wird, geht es u.a. auch um das Thema “Angst”. Warum ist es Eurer Meinung nach nie die beste Entscheidung, Angst, die man in gewissen Momenten spürt, zu verdrängen – und sollte man sie stattdessen immer zeigen?
Karl die Große: „Da liegen für mich ein paar Schritte dazwischen. Das Gegenteil von Angst verdrängen ist für mich: sie wahrnehmen, sie „erlauben“ und sich ihr stellen. Ob ich sie nach außen zeige oder nicht, entscheide ich jedes Mal neu. Aber meine Erfahrung ist: Wenn ich mich zeige, treffe ich auf Zuspruch, offene Ohren und Menschen, die ähnliche Sorgen kennen. Manchmal bin ich so in meinem Tunnel, dass es mich überrascht, wie viele die gleichen „absurden“ Gedanken kennen. Aufgehoben plädiert genau dafür – für den Mut, sich zu zeigen, statt Mauern zu bauen.“
Wir leben vermutlich leider immer noch in einer Zeit, in der Angst immer auch mit einer gewissen Schwäche verbunden wird. Inwiefern sollen uns eure 14 neuen Tracks Kraft und Mut dafür zusprechen?
Karl die Große: „Sich zu fürchten, Angst zu verspüren und kurz innezuhalten ist oft eine Stärke. Das wird gesellschaftlich immer noch als „Weakness“ interpretiert. Dieser Begriff fasst alles zusammen: Schwäche, Schwachstelle, Verletzlichkeit, Mangel, Defizit. Mir fällt es sehr schwer, meine Ängste und Sorgen zu akzeptieren. Ich würde sie gern ausknipsen. Deshalb habe ich mir den Song „Ein Blick“ geschenkt: Er ist nicht nur ein Zwiegespräch mit einer anderen Person, sondern gibt meiner Angst eine Stimme und spricht ihr ihre Berechtigung zu: „Ich weiß es nervt, aber ich bin immer noch hier.“ Sie meldet sich oft dann, wenn ich nicht gut auf mich achte oder wenn es Zeit ist, mutig zu sein. Das Lied „Bau nicht auf mich“ ist die schönste Erinnerung daran, dass es solche Lieder ohne die Tiefs nicht gäbe und dass es immer Menschen da draußen gibt, die mich trotz meiner Selbstzweifel mögen und für mich da sind. Genau diese Mischung aus Ehrlichkeit und Zuspruch wollen die neuen Songs transportieren – sie sollen Mut machen, die eigenen Gefühle nicht als Schwäche zu sehen, sondern als Teil von Stärke.“
Wie würdet ihr im Vergleich zu den Alben davor eure Transformation selbst wahrnehmen?
Karl die Große: „Es gibt mehr Beats und Elektronik, weniger große Bandmomente. Die Gegensätze zwischen Zerbrechlichkeit und Tanzbarkeit sind größer. Meine Stimme und alle Chöre haben einen viel größeren Stellenwert und ich habe sehr viele Instrumente selbst eingespielt – und überhaupt zum ersten Mal meine Klarinetten, Flöten und Saxophone mit in die Musik eingebracht. Alle Karls und ich haben in 11 Jahren Bandgeschichte immer viel zusammen im Proberaum oder beim Soundcheck ausprobiert, arrangiert und diskutiert, wenn ich neue Songs dabei hatte. Durch verschiedene Wohnorte, Touren, Jobs, Corona und spätestens seit meinem Umzug nach Bayern hatten wir diese gemeinsamen Zeiten nicht mehr. Ich habe viel mehr im Studio zu Hause rumprobiert, gemeinsam mit Lukas „Bustla“ Roth produziert und – passend zu meinem Touralltag – mit sehr vielen verschiedenen Menschen an verschiedenen Orten aufgenommen. Und das Album folgt zum ersten Mal inhaltlich einem Konzept. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht beim Schreiben.“
Eure Themen befassen sich ja durchaus mit einigen Empowerment-Bausteinen, die wir im alltäglichen Leben so brauchen. Warum ist das Eurer Meinung nach immer noch tabuisiert – und wo setzen da eure neuen Songs an, um dieses Tabu zu brechen?
Karl die Große: „Inhaltlich möchte ich empowern, sich zu zeigen, ins Gespräch zu kommen, Verständnis für sich und andere zu üben und auszuhalten, dass es an manchen Stellen Zeit braucht für ganzheitliche Lösungen. Denn wie im Lied mit Max Prosa besungen, sitzen wir alle im selben Boot namens Welt – und es bringt meiner Meinung nach nichts, einen Teil davon ausschließen zu wollen. Ich tabuisiere (tolles Wort, danke!) das Thema Empowerment selbst. In den Songs „In Raketen durch die Nacht“ und „70qm“ geht es um meinen Struggle zwischen Selbstoptimierung und Akzeptanz: Ich will wissen, wie ich gesund bleibe, ein super Mindset habe, noch mehr schaffen kann und den Raubbau an meinem Körper ausgleiche. Ich möchte nicht an meine Grenzen stoßen. Und es ist ganz offensichtlich, dass mir da viele was verkaufen wollen – dass irgendjemand Lebensweisheiten aus aller Welt gesammelt hat und mir eine Abkürzung anbietet. Im Schreibprozess habe ich übrigens eine absurde Faszination für Coaches und Machthaber entwickelt. Meine Frage: Können denn wirklich alle nach oben? Ist die ganze angesammelte Macht und das Geld vielleicht auch eine Fassade, um sich gar nicht mit seiner Angst befassen zu müssen?“
Welches ist hierfür das vermutlich schärfste Stilmittel?
Karl die Große: „„In Raketen durch die Nacht“ hat einen super treibenden Beat, zu dem ich so gern selbst tanze. Er schiebt sich tonarttechnisch immer weiter nach oben und vereint sehr viele Elemente, die auf solchen Coaching-Veranstaltungen gespielt werden. Der Song lässt einen nicht in Ruhe, schmeißt um sich mit „Ich bin stark“, „30-Second-Smile“ – und treibt es dann auf die Spitze, wenn wir mit Elon und Jeff durchs Weltall fliegen.“
Im Grunde wirkt es ja auch so, als stünden wir als Gesellschaft und als Einzelpersonen permanent vor einem Abgrund. Inwiefern kann euer Album “Aufgehoben” da berechtigte Hoffnung schüren, dass wir auch am vermeintlichen Ende immer wieder aufgehoben werden – und sich vielleicht doch alles zum Guten wendet?
Karl die Große: „Ja, diesen Abgrund spüre ich wirklich sehr oft, und er jagt mir Angst ein. Mein Versuch mit dem Album ist es, auf der ersten Hälfte diesen narzisstischen, kapitalistischen und teils rücksichtslosen Weg vieler Machtmenschen ein Stück mitzugehen, ihn anzuprobieren und mit ihnen zu scheitern. Zu entlarven, dass es auf Dauer keine Lösung ist, Empathie abzuschalten und nur Profit zu machen. Die zweite Hälfte trägt mehr Hoffnung und etwas Verbindendes in sich, dass wir nicht alleine kämpfen müssen – und ich habe tatsächlich versucht, Empathie zu üben. Was ist die Geschichte, was sind die Motive von Menschen, die so handeln? Steht dahinter vielleicht ein kleiner Junge mit einem Bauch so eng wie eine zerquetschte Tomate, der gelernt hat, sich nicht zeigen zu dürfen?“
Album – Release – Tour 2025
11.10. Magdeburg – Moritzhof
12.10. Berlin – Kulturinsel
14.10. Leipzig – Naumanns
15.10. Nürnberg – Z-Bau
16.10. Bayreuth – Neuneinhalb
18.10. Köln – Die Wohngemeinschaft
19.10. Wawern – Synagoge
02.12. Hamburg – Freundlich & Kompetent
03.12. Hannover – Pavillion
04.12. Langenberg – KGB
05.12. Halle – Neues Theater
06.12. München – Milla
07.12. Dresden – Schauburg